WR185 Anruf bei Helena in Antalya

wrint_holgerruftan_200Helena kommt eigentlich aus Bayern und ist, eher zufällig, vor fünf Jahren in die Türkei nach Antalya ausgewandert. Ich lebe in Deutschland und wusste – wenn ich ehrlich bin – praktisch gar nichts über die Türkei und noch weniger über die Türken. Jetzt weiss ich immer noch nichts, aber wenigstens nicht mehr gar nichts, denn wir plaudern unter anderem über das Wohnen, das Arbeiten und das Leben in der Türkei, über die Türken, die Türkinnen, die Deutschen, über Politik, Geschichte und Pumps.

Jetzt auch mit Shownotes von @Quimoniz und @vale!

52 Gedanken zu „WR185 Anruf bei Helena in Antalya

  1. David

    Musste direkt in den ersten Minuten schmunzelnd an meine erste Soziologie-Professorin denken, die mich sehr geprägt hat. Sie pflegte zu sagen: Soziologisch betrachtet ist Angela Merkel ein Mann.

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  2. Ferhat

    Sehr schöne Folge. Musste gerade am Anfang sogar sehr schmunzeln und musste an meine Kindheit denken, als Helena mit Auto durch die Türkei erzählt hatte. Top weiter so.

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    1. BrEin

      Der Pinguin ist super!
      Eine waschechte Nerdine.
      Hatte man aber auch schon rausgehört (“Fefe”). Ich hatte so laut lachen müssen.

      Vielen Dank
      BrEin

  3. tp1024

    Wieder eine tolle Ausgabe. 🙂

    Da ich aber bin, wer ich bin … habe ich an 5 von den 200 Minuten etwas auszusetzen und würde mir am liebsten auf die Finger hauen. Ich kann wirklich gut verstehen, dass es besser und eleganter klingt, wenn man Strom mit Sonne und Windkraft haben möchte. Aber es meldet sich dann immer bei mir immer das was ich darüber gelernt habe. Und das heißt nunmal:

    Wenn man den Strom der je 4 geplanten Kernkraftwerke von Sinop und Akkuyu durch Solarkraftwerke ersetzten möchte, dann belegen die eine Fläche die genauso groß wie Berlin (wenn man den Tierpark, den Wannsee und alles andere auch dem Boden gleich macht) Von der Natur bleibt auf dieser Fläche absolut nichts mehr übrig:

    http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/44/Solarplant-050406-04.jpg

    Das ganze kostet dann etwa 120 Milliarden Euro, hält höchstens 30 Jahre, die Parabolspiegel auf dieser riesigen Fläche müssen alle zwei Wochen gereinigt werden. An Tagen mit schlechtem Wetter kommt sehr wenig Strom heraus und die Speicher geben leider auch nur 6-8 Stunden Reserve. (Wobei das schon ein großer Vorteil gegenüber Photovoltaik ist, weil man nicht auf gedeih und verderb der Sonne ausgeliefert ist und der Strom deutlich gleichmäßiger geliefert wird. Also nicht Mittags um 12 doppelt so viel wie Nachmittags um 4 oder Vormittags um 8.)

    Windkraftwerke sind billiger, liefern aber keinen Strom ohne Wind. Damit wird er nicht wertlos, aber man braucht Kraftwerke, die den Strom ersetzen können, wenn kein Wind weht. Wenn die Windkraftwerke mehr Strom liefern als gerade verbraucht werden kann, dann nützt er auch niemandem etwas. Das ist genau der Punkt den wir in Deutschland vor einigen Jahren erreicht haben. (Und Strom der per Elektrolyse als Wasserstoff oder Methan gespeichert wird, kostet am Ende unweigerlich wenigstens 4 mal soviel wie der Strom der gespeichert werden soll …)

    Die 8 Kernreaktoren kosten 30 Milliarden Euro und können 60 Jahre lang Strom liefern, auch bei schlechtem Wetter und geregelt werden können sie entgegen aller anderen Behauptungen auch. Als Ergänzung sind Wind und Sonne wirklich gut, aber mehr auch nicht. Ich sehe auch nicht, wie es sich die Türkei leisten könnte einer Ideologie hinterher zu jagen, so lange noch bei grundlegenden Bedürftnissen wie Bildung, Gesundheit und einer überhaupt vorhandenen Stromversorgung mangelt.

    Wer auch immer geschrieben hat, dass die Kernkraftwerke von TEPCO gebaut werden sollen, hat schlicht gelogen. TEPCO sind die Stadtwerke von Tokyo, die bauen keine Kernkraftwerke. Die Kraftwerke in Sinop stammen aus einer Kooperation von Areva und Mitsubishi, die dafür die gleiche Technologie benutzen die auch beim EPR – die tatsächlich aus den deutschen Konvoi Kraftwerken stammt, aber in den letzten 30 Jahren deutlich verbessert wurden. (Die Kraftwerke in Fukushima Daiichi stammen von General Electric und wurden in Kooperation mit Toshiba und Hitachi nach Entwürfen aus 1963 und 1965 gebaut. Der Reaktor #6, die Reaktoren in Fukushima Daini und Tokai waren “moderner”, stammen aus dem Jahr 1968, und überstanden den Tsunami unbeschadet.)

    Die 120 Millionen “Tschnobyl Russen” haben übrigens auch einige sehr fähige Ingenieure unter sich. Jedenfalls haben sie 1988 in Deutschland Baupläne für Kernreaktoren zur Kontrolle vorgelegt (u.a. “AES-88”), die in der Sicherheit allen in europäischen, amerikanischen und japanischen Entwürfen überlegen waren – weil sie den Reaktor auch vollständig ohne Strom, nur mit Konvektion kühlen können. (Also dem Prinzip, dass heißes Wasser aufsteigt – was die Pumpen überflüssig macht.) Natürlich war diese neue Offenheit (“Glasnost”) ein Resultat von Tschernobyl, aber entweder lagen diese Pläne bereits in den Schubladen oder sie wurden in 2 Jahren ausgearbeitet. Beides kein Zeichen unfähiger Ingenieure und ich möchte Helena doch sehr bitten, diese Verunglimpfung von Menschen nur aufgrund ihres Geburtslandes zurück zu nehmen.

    In der Türkei sollten die modernsten russischen Reaktoren (VVER 1200/491 nach AES-2006) gebaut werden, deren Sicherheit nicht nur absolut mit denen in Deutschland vergleichbar, sondern ihnen überlegen ist. Auch Russen sind nicht dumm und können 2013 bessere Kernkraftwerke bauen, als sie in den 1980er Jahren in Deutschland gebaut werden.

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    1. tp1024

      Aber ich hasse mich dafür auf eine Zeile voll des Lobes zwei Seiten Kritik folgen zu lassen. Kann jemand bitte ganz schnell mal 80 Seiten Lob schreiben?

      Bitte bitte bitte!!!! 🙂

    2. Helena

      Oki mag sein, dass ich in Teilen Unsinn verzapft habe 🙂 und ich wollte mit der Aussage nicht die Russen ansich angehen, ich habe den höchsten Respekt vor Russen und ihrer Ingenieurskunst.
      Nur finde ich es einfach irrsinnig Atomkraftwerke hier zu bauen.

      Ich hab hier noch keine einzige gerade Wand gesehen. Die Bauqualität ist auch heute noch wirklich schlecht, schluderig. Da will ich kein Atomkraftwerk habe. Da können die russischen Ingenieure so sein wie sie wollen, wenn türkische Handwerker das Ding zusammen zimmern, wirds krum.

      Aber:
      Hier hat es auch ein sehr großes Energieeinsparpotential. Die Wärmedämmung/Isolierung ist nahezu nicht vorhanden. In Antalya wird bis heute so gut wie gar nicht isoliert. Doppelverglasung ist erst seit paar Jahren eingeführt. Eingebaut wird mit so vielen Wärmebrücken, dass jeder deutsche Bauleiter hier einen Herzinfarkt bekommt.
      Energiesparen ist hier noch ein Fremdwort, wenn die Klima zu weit runterkühlt, macht man das Fenster auf und lässt die Klima weiterlaufen. Soll heißen, wir haben hier unfassbare Einsparmöglichkeiten. Natürlich ist Solar nicht alleine die Lösung, aber wenn man bei den Einsparungen beginnt, dann dezentrale Strukturen aufbaut und Wind, Solar, Wasser kombiniert, dann könnte man die Atomkraftwerke einsparen.
      Die Regierung hat aber bisher wenig unternommen, um das Problem mal wirklich sinnvoll anzugehen.

    3. tp1024

      Solange die Türken im Durchschnitt weniger als ein Drittel des Stroms der Deutschen verbrauchen, möchte ich das langfristige Einsparpotential einmal bezweifeln. Sicher, die wohlhabenderen Leute gehen verschwenderisch mit dem Strom und Energie im allgemeinen um (und sollten damit aufhören), aber offensichtlich sind die die zu wenig haben bei weitem in der Überzahl.

      Was die Kernkraftwerke angeht sollte man auch nicht vergessen, dass diese von Areva/Mitsubishi und Atomstroyexport gekauft werden. Und die haben ein sehr großes Interesse daran, dass die Kraftwerke vernünftig gebaut werden, schließlich hängt deren Ruf und damit alle weiteren Aufträge daran. Kapitalismus funktioniert eben in beide Richtungen. Man muss aber immer aufpassen, dass er nicht in die falsche Richtung abbiegt – und laissez faire reicht dafür definitiv nicht aus.

      Die vielen Wasserkraftwerke in der Türkei am Euphrat und Tigris bereiten auch Probleme mit der Wasserversorgung stromabwärts in Syrien und Irak – und die werden gerade deswegen heftig und wohl zurecht kritisiert.

      Ich wünschte auch, dass das alles viel leichter wäre … ist es aber leider nicht.

  4. @plumlumbum

    Sehr schöne Sendung.
    Holgi sagte zwischendurch, in Berlin sei das mit den Statussymbolen und der Mentalität ähnlich.

    Kann ich auch aus Zwickau bestätigen 🙂

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  5. gokzilla

    Ein wirklich toller Podcast, und ich muss zugeben, das Helena über die Türkei mehr berichten kann als ich Bio-Türke ,der das Land fast nur aus dem Urlaub kennt. In einigen Punkten möchte ich jedoch widersprechen.
    Über die Atomkraftwerke hat tp1024 schon geschrieben, wo ich nichts hinzufügen möchte. Helena würde ich aber Raten weniger Angst zu haben.
    Türken sind keine Volldeppen die es nicht schaffen eine gerade Wand zu ziehen. Ein kurzer Blick auf die Hotels in Antalya müsste dafür ausreichen dies zu widerlegen ;-).
    Mimar Sinan (http://de.wikipedia.org/wiki/Sinan) könnte auch ein Beispiel dafür sein, das Türken imstande sind Gebäude zu bauen 🙂
    Seid ein paar Jahren gibt es Bau Auflagen die Europäischen Standart gelten, so das auch normale Häuser und Wohnungen , europäischen in nichts nahestehen.
    Man darf nicht den Fehler machen, 20 – 30 Jahre alte Wohnungen mit heute gebauten zu vergleichen. Damals gab es solche strengen Auflagen nicht, dafür kosten solche Wohnungen aber nur ein Bruchteil dessen was man sonst zahlt.
    Solche Behauptungen machen Helena für mich aber besonders sympathisch, weil sie sich schon wie eine echte Türkin anhört. Ich kenne kein anderes Volk, was selbstkritischer ist als die Türken. Auch der Spruch ” burasi Türkiye ” übersetzt, “hier ist Türkei” ist ein Beispiel dafür. Damit möchte man sagen, das man sich hier im Land vor nichts mehr wundern sollte.

    Die Beliebtheit des Ministerpräsidenten Erdogan hat aber viel tiefgreifende Gründe. Seine Anhänger oder die Hälfte der Türken die ihn gewählt haben, sind keine Idioten, die einem billigen Polemiker folgen oder einen Gottesstaat möchten und in ihm einen zweiten Achmedinejad sehen.
    Erdogan ist kein ungebildeter Emporkömmling sondern hat nach seinem Wirtschaftswissenschaft Studium in Istanbul als Bürgermeister von sich Reden gemacht, in dem er innerhalb kürzester Zeit die Stadt quasi Schulenfrei gewirtschaftet hat.
    Als Ministerpräsident hat er es in 10 Jahren geschaft , durch strenge Reformen die Wirtschaft derart anzukurbeln , das die Türkei die zweithöchsten Wachstumsraten nach China hat. Ich möchte nicht anfangen mit Daten zu jonglieren sondern zeige ein paar Beispiele.

    Die Türken sind ein sehr stolzes Volk , die immer noch traurig an die glorreichen Zeiten des Osmanischen Reiches des 16 ten Jahrhunderts zurück denken. Bis vor 10 Jahren waren die Türkei aber Bittsteller der Europäer und Vasallen der USA. Heute ist die Türkei frei von der IWF und die Wirtschaft brummt.

    Das Militär war Maß aller Dinge. Auch meine Eltern erzogen uns streng Kemalistisch auf. Kinder meines Jahrgangs 75, sparten in erster Linie nicht auf ein neues Auto, sondern für den Militärdienst in der Türkei die 10000 DM kostete. Der einmonatige Militärdienst für uns war wichtiger als das Abitur. Mein Cousin ist General in der Türkischen Armee und ich konnte Zeuge werden welche Privilegien die Militärs in der Türkei genießen. Natürlich kann man sie nicht mit einer Junta vergleichen, eher als die Beschützer der Gesellschaft und des Staates, wonach die Menschen sich wenden wenn es Probleme mit dem Staat gibt und einen Putsch wünschen.
    Erdogan kürzte das Budget für das Militär, was früher ca. ein Viertel des Bruttosozialproduktes ausmachte. Dafür setzte die AKP das Geld an Bildung und Gesundheitswesen. Aktuell wäre z.B. die 15 millionen Schüler mit Ipads zu versorgen ” http://weblogit.net/2013/02/02/ipads-fur-turkische-schuler-apple-verhandelt-uber-milliarden-deal-35295/
    Korruption war ein großes Problem, und die Steuergelder versanken in etlichen Firmen , Konzernen und Mafiastrukturen. Vor AKP war es der Normalfall , das man nach einer Wahl, die Hauptstraße in einer Stadt aufriss und nach ein paar Monaten wieder zubetonierte um den Menschen den Eindruck zu erwecken, das die neue Regierung etwas tut.
    Große Industrielle oder Mafia Familien teilten sich die Türkei unter sich auf. Die Uzan Familie war einer der bekanntesten. Keine Regierung nahm es mit Ihnen auf, obwohl jeder wusste das sie zu den Vier großen Cartellen gehörte. Nur Erdogan und die AKP nahmen es gegen Sie auf, und viele Türken wetteten schon darauf wann er beseitigt würde. Die Uzan Familie machte dann den gleichen Fehler wie Pablo Escobar und ging in die Politik. Nach ein paar Monaten fand man in Razzien etliche Waffen und Gelder der Uzan Familie die für einen Kleinkrieg ausreichen würden. Die Türkei stand damals kurz vor dem Abgrund und war in der Gefahr ein zweites Mexiko zu werden.

    Erdogan polarisiert tatsächlich extrem mit seiner Art. Man muss aber zugeben das die AKP innerhalb der 10 Jahre mehr für die Türkei gemacht hat als all die anderen Parteien seit 60 Jahren. Vielleicht geschieht das aber zu schnell und die Türken sind es nicht gewöhnt. Man protestierte schon von Anfang an gegen alles. Gegen die Brücken , welches das Verkehr Chaos verbessert haben, die Metro Station das täglich millionen von Menschen allein in Istanbul transportiert, strenge Auflagen wie im Baugewerbe, das Gesundheitswesen , Bildungswesen , die tausende von Kilometer Straßen und Autobahnen usw. usw.

    Erdogan brach aber auch Tabus, wie das Kurdenproblem anzusprechen oder gegen das Militär vorzugehen. Sein aller größter Fehler war aber, Atatürk als Betrunkener zu denunzieren. Die Menschen protestieren heue im GEZI Park nicht wegen den ein paar Bäumen. Die Intellektuellen , Studenten und modernen Türken stauten die Wut in sich was jetzt eben explodiert.

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    1. Helena

      Ich gebe dir in vielen Punkten recht, ganz besonders darin,dass die Türken keine Deppen sind.
      Bei der Bauqualität aber bleibe ich hart. Auch weil ich viele Gespräche mit verschiedenen Architektenkammernchefs geführt habe und die mir die Hintergründe der schlechten Bauqualität erklären haben. Momentan bekomme ich live an einem Freund mit, was der Stand der Dinge ist. Er ist seit 30 Jahren Architekt in der Türkei und berät eine Hotelbaustelle. Ich habe selten einen Hanseaten so deutliche Worte sagen hören. Es hat weniger mit Dummheit als mit “Boş ver” zu tun, was so viel wie “passt scho” bedeutet. In unserer deutschen Mentalität haben wir etwas seltsames verankert, nämlich den Willen zur Perfektion. Das haben wenig andere Völkchen auf dem Erdball. Und so wird hier genau so viel gemacht, dass es gerade mal “passt”. Das führt dann dazu, dass alles super aussieht, aber alle 2 Jahre renoviert werden muss. Die Hotels sind alle nach 5 Jahren komplett runter. Hier wird halt auch nicht für die Ewigkeit gebaut.
      Ich habe zuerst in einem Neubau gewohnt und konnte stellenweise zwischen Fensterrahmen und Wand durchgucken. Bisher in jeder Wohnung hatte ich Feuchtigkeitseinbrüche, genauso wie alle Menschen die ich hier kenne. Wirklich alle. Im Frühjahr wenn die Unwetter wüten hat der Pfarrer Springbrunnen im Parket wenn er drüber läuft, ich hab an 2 Stellen feuchte Wände, bei einer Freundin kommts von oben rein. usw. Das ist hier echt völlig normal, auch in den Hotel siehst du im Frühjahr immer die Schäden, dann wird bis Mai alles überpinselt und dann ab Juni regnet es eh für 4 Monte nicht mehr.
      In Istanbul ist die Bauqualität etwas besser, aber auch da ist es normal, dass man dauernd irgendwo der Feuchtigkeit hinterher spachtelt.

      Was deine Ausführungen zu Erdogan betrifft, ist es genau das was ich rüberbringen wollte. Er hat einfach wirklich viel bewegt und es war zuvor in den meisten Bereichen schlimmer. Nur seine Sprache und Demagogie haben einige Leute schon von Anfang an erkannt. Ich weiß noch, als ich zur Zeit des letzten Verfassungsreferendums im Bus saß und ein älterer Deutsch-Türke neben mir meinte: “Erdogan will aus der Türkei einen 2. Iran machen”. Ich fand die Aussage so schrecklich platt und unbrauchbar. Was fängt man mit so einen Satz denn konkret an? Leider war so auch die Argumentation der Gegner.
      Es gibt eben zu Erdogan momentan keine wirkliche Alternative, die CHP wurde m. E. von Baykal so dermaßen runtergeritten, dass viele CHP Wähler gerade in Antalya (Baykal ist noch immer Antalyaabgeordneter) die CHP seinetwegen nicht wählen wollen. Dass die CHP auch keine echte Lösung ist, habe ich versucht rüberzubringen. Denn egal wo die CHP mal an der Macht war in der Vergangenheit funktionierte nichts mehr (Istanbul Stromausfälle, Wasserversorgung). Die Ideologıe der CHP war bisher schwer sozialistisch, was ich auch an der hiesigen Stadtverwaltung sehen kann, wobei die weit mehr auf die Reihe bekommt.
      Menschlich ist einem die CHP sympatischer, bekommen aber wirklich weniger gebacken. In dem Punkt ähneln sich CHP und SPD 😉
      Was die Korruption betrifft, ja, haste recht, war alles früher schlimmer, aber nun hat es sich einfach verschoben. Es ist weniger sichtbar, aber glaub nicht, dass du hier auch nur irgendetwas an größerem Projekt auf die Beine bekommst ohne Freunde bei der AKP.
      Bei der Polizei wird befördert wer sich zu Fetullah Gülen Bewegung bekennt.
      Er hat die alten Machtstrukturen geknackt, aber keine wirklich transparenten geschweige denn demokratischen Strukturen geschaffen, sondern dadurch auch wieder mehr und mehr Macht auf sich vereint. Nur etwas subtiler, in dem er alle wichtigen Posten über die Jahre mit seinen Leuten besetzt hat.
      Wie ich sagte, was an Reformen wichtig und insbesondere nützlich war, wurde umgesetzt der Rest halt nicht.

      Was die EU machen könnte um wirklich mal Druck aufzubauen, wäre das Kapitel Innen- und Rechtspolitik der Beitrittsverhandlungen zu öffnen. Denn das ist wirklich mal sanierungsbedürftig und da müsste dann die Regierung Farbe bekennen. Statt den ganzen Prozess mit der Zypernfrage zu blockieren, in der Erdogan einfach nicht einlenken kann, weil hier dann wieder alle rumschreien, könnte die EU erstmal alles außenrum anstoßen.

      Was die inhaftierten Journalisten oder gestern die Aktion mit den verhafteten Anwälten und Richtern betrifft, so kann man wirtschaftliches Wachstum nicht mit Abbau von Menschenrechten gegenrechnen.

      Achtung Hitlervergleich: Den Menschen gings 1936 auch besser als 1933…außer denen die auf der falschen Seite standen. Und so mag ich es nicht, wenn man dann sagt: Ja aber die Wirtschaft wächst! Da bin ich Deutsch und Perfektionist.
      Wenn du was machst, machs g’scheit! Wenn du regierst, dann regier richtig und nicht nur für die Deinen.
      Ich weiß, reichlich idealistisch…

    1. UK

      Hihi, das schaut auch lustig aus, Helena 🙂

      Das war vermutlich auch der von Dir erwähnte Hotelkoch mit dem Techtelmechtel?!?

  6. thf

    Hat was von teilnehmender Beobachtung, sehr schön 😉

    Manchmal wird behauptet, dass Türkisch mit Finnisch und Ungarisch verwandt sei, was allerdings nicht der gängigen Mehrheits- bzw. Lehrmeinung entspricht. Dass es sich bei allen Dreien um agglutinierende Sprachen handelt stimmt, allerdings ist das nur eine strukturelle Beschreibung, die auch auf sehr viele andere Sprachen zutrifft.

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  7. Christoph

    Toller Podcast!

    Es hat mir nur wehgetan zu hören, dass man in Berlin für ein halbes iPhone einen Monat lang wohnen kann. Hier ist man mit dem Kehrwert noch sehr gut dran.

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  8. Simon

    Wow, das war eine der besten Podcasts die ich je gehört habe. Super spannendes Thema! Eine herrlich sympathische Frau und die ganzen Subthemen…herrlich! Vielen Dank dafür!

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  9. gokzilla

    Mit der “passt scho” Mentalität hast Du absolut Recht :-). Natürlich kann man die deutsche Gründlichkeit bei keinem anderen Volk der Erde wiederfinden , das wage ich gar nicht anzufechten. In der Türkei kommt es natürlich wie überall auf die Kosten und ein bisschen auf das Glück an.

    Wenn man recherchiert und auf eine solide Baufirma trifft, hat man keine Probleme. Meine Wohnung ist über 10 Jahre alt, und bis jetzt sind die Mieter zufrieden. Bei meinem Schwager sieht es anders aus. Vier Stockwerk großes Hochhaus, und die Qualität nimmt von unten nach oben ab, sprich unten knarzen keine Türen und Fenster, im vierten Stock gewaltig :-).

    Das Problem mit Fetullah Gülen habe ich schon öfters gehört. Vor ein paar Monaten hat mein Vater mir erzählt, das sein Nachbar sich beschwert hat, das sein Sohn weit in den Osten versetzt wurde. Wäre er in der Fettullah Gülen Bewegung , wäre es nicht passiert. Ob es wahr ist oder nicht kann ich nicht beurteilen.

    Ich möchte eine kleine Anekdote über die Fetullah Gülen Schulen und deren Anhänger schreiben :-).
    2004 war ich für 2 Wochen in Japan zu besuch bei meinem Kumpel der als Ingenieur bei Sony-Ericsson gearbeitet hat. Beim spazieren gehen kam ein Türke entgegen und wir kamen ins Gespräch.
    Er lud uns zu sich ein , und am nächsten Tag machte er uns bekannt mit einer großen Gruppe von jungen Männern.
    Es waren ein Dutzend Männer in meinem Alter und alle stellten sich vor mit, Dr.Schneüdereüt, Prof. Schneüdereüt, Prof.Dr. Schneüdereüut usw. usw. Alles hochrangige Akademiker, die wie Nerds aussahen.
    Ich fand deren übertrieben nettes Auftreten so lustig , das ich mich vorstellte mit “Hocherfreut , mein Name ist “XYZ” Bordsteiningenieur und mein Horoskop ist Skorpion.
    Ich fands lustig :-).

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  10. Lilli

    WOW!.. ist echt das einzige, was mir dazu einfällt! Eine der lehrreichsten und dabei trotzdem unterhaltsamsten Sendungen bei WRINT! Gerne mehr davon! *___*

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  11. Morgentau

    Hallo
    Ich fand das Gekicher und das Lachen etwas anstrengend von Helena. Aber das kann auch sein das ich es selbst nicht gut kann. Bin Asperger-Autist.

    Sonst fand ich die Folge sehr interessant. Vielen Dank!

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  12. kritiker

    Super Podcast! Ich bin ja sonst schnell dabei mich zu beschweren, aber das war echt eine gute Leistung.
    Zwischendurch habe ich mich gefragt, wie so ein Gespräch im klassischen Radio abgelaufen wäre: max. 10 Minuten, unglaubwürdiger Radiomensch, etc. und war unglaublich froh, im Podcastzeitalter zu leben 🙂

    Antworten
    1. Quimoniz

      Ergänzungen wären super!
      Am liebsten haben wir es per Github, als Pull-Request, dann werden wir von Github automatisch benachrichtigt, dass sich was geändert hat https://github.com/shownotes/shownot.es/blob/master/podcasts/wrint/185.Helena_in_Antalya.html
      Dann laden wir es auf unsere Webseite auch gleich hoch. Freilich ist das nicht der einfache Weg.

      Der einfache Weg ist es einen Account im ShowPad zu machen, und das entsprechend Pad zu editieren http://pad.shownot.es/doc/wrint-185
      Anschliessend MUSS uns dann noch gesagt werden, dass was geändert wurde am Pad, sonst merken wir das nicht – dann parsen wir das neu, tun es auf Github und die Webseite.
      Kontaktieren geht bspw. auf Twitter an @dieshownotes oder auf App.net an @shownotes

      Sorry, dass die Technik noch nicht besser geht

  13. steven

    Ich fliege auch sehr gern im März/April nach Antalya. Hotel immer in der Altstadt (Alt-Antalya sagt der Taximann). Das sind schön alte Gebäude mit tollen Innenhöfen und die Stadt ist Autofrei. Nur Taxis und Lieferverkehr. Ich nutze dort die herrliche Möglichkeit bei warmen Wetter schon auf dem Fahrrad zu trainieren. Im Verkehr kommt man super zurecht, auch auf den mehrspurigen Straßen. Man kommt schnell aus der Stadt und kann dann entweder herrliche Küstenstraßen fahren oder in die Berge hoch. Dort hat man 2-3 spurige Straßen fast für sich allein. Durch die Dörfer ist landschaftlich super interessant. Die Straßen sind gut und perfekt für Rennradler, die was von der Welt sehen wollen. Die Menschen sehr freundlich und angenehm.

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  14. Gokzilla

    Mein Cousin aus der Türkei ist zu Besuch nach Deutschland gekommen und auch er bestätigt ziemlich genau das was Helena über die AKP und Erdogan gesprochen hatte. Er persönlich wurde von der Polizei bedroht, als er Demonstranten mit ein paar Ärztekollegen half. Einen Kollegen sollen sie sogar zum Revier mitgenommen haben.

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  15. Volker

    Merhaba Helena, Hallo,Holgi,

    wieder ein Podcast von denen man nicht genug bekommt.
    Auch ich hatte einmal eine Aversion gegen die Türkei. und wie es nun einmal so im Leben bei fast allen Abneigungen ist, man hat diese meistens nur, von irgendwelchen “hören und sagen” .
    Dann hat mich meine Frau einfach einmal überredet dort Urlaub zu machen. Und ich bin total begeistert. vorm Land und vor allem von der Freundlichkeit der Menschen, und das nicht nur in den Touristenzentren, sondern auch im Innenland.
    Ich bin jetzt schon das 3. mal dort gewesen und werde dieses Jahr dort auch wieder Urlaub machen
    Überrascht ist man dann schon, wenn man auf einen Markt in Alanya auf Hochdeutsch angesprochen wird, auch wenn man nur was kaufen soll.

    Vielen Dank

    Antworten
    1. Helena

      Das ist auch meine Erfahrung früher gewesen. “Türkei? Das ist das Land aus dem die Gastarbeiter kommen! Die finde ich ja hier (DE) schon schrecklich, warum sollte ich in ein Land fahren, das voll davon ist?”
      Das hat sich die letzten Jahre sehr geändert, auch der Rechtfertigungsdruck, wenn man Türkisch lernt, ist weggefallen. Jeder depperte Deutsche kann etwas Italienisch, auch wenns nur zum Espresso statt Expresso taugt, aber wenn man vor Jahren Türkisch gelernt hat, dann musste man sich erklären.

      Das Land ist super schön und interessant, es hat ein umwerfende Landschaft und man kann einen Tag Skifahren und am nächsten Tag am Strand liegen. Die Möglichkeiten sind einfach enorm.
      Ich bin froh, dass gerade im Winter auch immer mehr Kulturreisende kommen und sich hier die archäologische Seite der Türkei ansehen, statt bräsig im All-Incl zu liegen.

      In Alanya war ich bisher einen Nachmittag und habs nicht ertragen. Tourismus pur, überall Deutsch, und auch kein echtes Türkeifeeling mehr. Die Händler sprechen einen auf Deutsch an, etc.
      Ne ich mags nicht.
      Dann lieber Cirali/Adresan/Olympos (http://de.wikipedia.org/wiki/Olympos_(Lykien)).

      Was die aktuelle Situation betrifft, wir sind dank der Erdoganrede und der Gewalt gestern an dem Punkt, dass die ersten AKP Privatmilizen durch die Straßen in Istanbul ziehen. Hier in Antalya wurde gestern die Polizei vom “Marktplatz”, auf dem auch ein Zeltcamp existiert, abgezogen. Warum, weiß man nicht. Hier kam es auch rund um das Camp niemals zu Ausschreitungen. Nur ein paar “erlebnisorientierte” Jugendliche haben weiter im Norden Rabatz gemacht. Antalya verfügt über ganze 2 Wasserwerfer und die sind angeblich irgendwo in der Nähe der AKP Zentrale geparkt.
      Die Lage ist generell unübersichtlich und ich frage mich, wie lange wir das alle durchhalten, denn eine Zukunft im Sinne einer Einigung ist dabei nicht in Sicht.

      Aber ich möchte mich ganz herzlich für das tolle Feedback bedanken. Es spornt mich an weiterzumachen, weiter zu schreiben, weiter zu erklären. Jede Mail wird beantwortet und jeder Flattrclick mit einem dicken Schmatz und ewiger Dankbarkeit honoriert. Natürlich nur für Selbstabholer. :*

      33 Grad Grüße

      Helena

  16. User

    toller Podcast, die berichtete Situation erinnert mich teilweise sehr an die Situation der frühen 90er Jahre in Moskau…

    wegen solchen Podcasts liebe ich das hier …. Vielen Dank!!!!

    Antworten
    1. Helena

      Mit Intellektuellen meint man hier für gewöhnlich die Mittelschicht, die sich ab der Atatürk Zeit erst gebildet hat. Beamte, Bürger, Industrielle, Städter. Eine Schicht, die gebildet war, sich ein Studium im Ausland leisten konnte, daher eine differenzierte Betrachtung der Welt inne hatte und dadurch schrittweise die Führung des Landes übernahm.
      Diese Schicht wählte bisher eher die CHP. Dem gegenüber hatte die CHP oft nur Verachtung und Hohn für die einfachen religiöseren Menschen übrig, Es waren seit Atatürk immer nur intellektuelle Eliten die das Land regierten, bis zu Erdogan, den man kaum als Intellektuellen bezeichnen kann.

  17. Rob

    Auch von mir nur ein herzliches Dankeschön für die tolle Sendung. Und ich schließe mich Kritiker’s Meinug an, das es dieses Gespräch im Radio nie gegeben hätte, was sehr schade wäre. Ich nehme mir ausserdem jetzt die Bio-Türken zum Vorbild und versuche weniger zu fluchen. 🙂

    Danke und Grüße
    aus Dresden

    Antworten
  18. Hagen

    Ein großes Dankeschön an Helena und Holgi für diese wunderschöne Folge!
    Extrem interessant und unterhaltsam.
    Das war der erste Podcast mit einer Länge von über drei Stunden den ich an einem Stück gehört habe 🙂

    Antworten
  19. Sascha

    Ein echtes WRINT-Highlight (und ich habe sie ALLE gehört :-)). Ein Holgi in Hochform und eine sympathische Gesprächspartnerin, die zumindest mir als Türkei-Nichtkenner dieses offenbar sehr interessante Land nähergebracht hat. Danke Holgi und Helena für diese überaus informative und sehr unterhaltsame Folge!

    Antworten
  20. Alex

    Hey Holgi,
    die zwei Podcasts mit Helena waren aus meiner Sicht beide unter den besten Podcasts von dir.
    Auf Grund der aktuellen politischen Entwicklungen gibt es doch bestimmt genügend Stoff für einen dritten Teil.
    Was meinst du?

    Antworten

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